Einführung von Helene Seifert (M.A.), Karlsruhe

„H O M E“  

Gina Plunder, Vernissage in der GEDOK Karlsruhe am 11.01.2013

Als Sie, meine Damen und Herren, die Einladungskarte zu dieser Ausstellung erhalten haben, haben Sie sich vielleicht auch gefragt: Was sind das für Bullaugen, durch die man sehr grafisch wirkende schwarze Liniengefüge mit gelegentlichen Farbflächen erkennen kann, die Treppen bilden, die in Räume mit Tischen und Betten führen?

Genau diese Fragen sind auch bei mir aufgetaucht, als ich mich mit der Künstlerin Gina Plunder getroffen und sie interviewt habe. Sehr lebendig und interessant hat sie mir auf diese Fragen geantwortet, meine möglichen Antworten bestätigt, geklärt und bereichert. Es ist doch immer wieder bereichernd, mit noch lebenden Künstlerinnen und Künstlern über ihre Kunst zu sprechen. Das sollten wir verstärkt wahrnehmen!!!

Gina Plunder (kein Künstlername! Gina = Verkleinerungsform von Georgetta!) stammt aus Rumänien und absolvierte in Bukarest ihr Studium der Bildenden Kunst, das sie später in Freiburg an der Hochschule für Design fortsetzte. Da sie hierfür ihre Heimat verlassen hat, ist vielleicht auch der Ausstellungstitel „HOME“ signifikant für die Suche der Künstlerin nach Heim und Heimat.

Wo fühlen wir uns daheim, wo ist unsere Heimat? Wo wir leben, arbeiten, Familie und Freunde gefunden haben. Auf jeden Fall aber in unserem Heim mit vier Wänden, „my home is my castle“!

Mit Arbeiten ab dem Jahr 2008 bis heute präsentiert uns die Künstlerin heute das erste Mal ausführlich Ihre architektonischen Zeichnungen / Gemälde (eine Mischung aus beidem). 

Gina Plunder baut sich in ihren Bildern eigene Häuser, bietet uns unverhohlene Einblicke. Es soll eine Idee, ein Traum, eine Vision sein, eine schöne, ideale Welt soll uns gezeigt werden, eine Utopie von Wohnlandschaft. Und wie eine Landschaft erstrecken sich tatsächlich diese linearen Gefüge aus schwarzen Linien, freihändig mit Lackstiften gezogen, über einem unsichtbar gewordenen, zarten, exakten und symmetrischen Liniengerüst. So könnte ein Architekt des Barock mit seinen Entwürfen für eine neue utopische Stadt namens Karlsruhe vorgegangen sein – symmetrisch, das Schloss, der Turm, die Strahlen … Aber nein, nicht Karlsruhe steht für Gina Plunders Arbeiten Pate, sondern eine andere Stadt: Rastatt. Die Stadt, in der Gina Plunder lebt, die ihre Heimat und ihr Heim geworden ist. In Rastatt steht die Pagodenburg, ein kleiner barocker Pavillon im Schlossgarten an der Murg, den Markgräfin Sibylla Augusta für ihre Kinder bauen ließ – heute ein reizender Ort für Ausstellungen des Rastatter Kunstvereins. 

Drei kleine Pagodenbilder von 2011 bilden den Impuls für die neuen Pagodenbilder. Es sind geheimnisvolle, erstaunlich plastische Ansichten der Fassade des kleinen Schlösschens: zwischen Plexiglasplatten mit Zeichnungen sind Fragmente von Monotypien von Gina Plunder erkennbar und erzeugen so eine faszinierende Plastizität und Räumlichkeit.

Nicht nur die Auseinandersetzung mit diesem barocken „Heim“ führte Gina Plunder zu den Architekturbildern, sondern auch ihre Ausstellungsbeteiligung in Peking bei der „Biennale Beijing“, bei der sie zweimal – gerade im Oktober des vergangenen Jahres – teilnehmen konnte. Der Besuch Chinas hat sie fasziniert. So findet beispielsweise der Eindruck der Tempelanlagen in den Architekturbildern seinen Niederschlag; ebenso die farbigen Akzente Weiß – Schwarz – Rot, wie sie etwa auch auf asiatischen Grafiken zu finden sind.

Es sind fast architektonische Hausentwürfe, die sich in der Realität zum Teil sogar nachbauen ließen. Aber es sind keine Entwürfe eines Architekten, sondern einer Künstlerin, die sich mit dem Thema Wohnen intensiv auseinandergesetzt hat. In einer Zeitschrift „Schöner Wohnen“ fänden ihre Entwürfe wohl keinen Platz, denn seltsam unbewohnt und menschenleer sehen die Raumstrukturen aus. Obwohl, so versicherte mir Gina Plunder, es auch Bilder dieser Art von ihr gäbe, in welchen silhouettenhafte Figuren zu sehen seien.

Die Raumgefüge sind auf den ersten Blick stets symmetrisch angeordnet, aber verweilt man länger vor den Bildern, erschließen sich beidseitig unterschiedliche Räume oder Details: Man erkennt Treppen, Gänge, Säulen, die Stabilität suggerieren; Raumtiefen, Zimmerfluchten, dachartige Konstruktionen, die sich dann aber wieder als Raum im Raum erweisen. Mich haben diese Raumkonstrukte, die immer wieder in wechselnden Perspektiven – einmal in Aufsicht, einmal in Untersicht – den Betrachter verwirren, an die Architekturphantasien „Carceri“ des venezianischen Kupferstechers und Baumeisters Giovanni Battista Piranesi aus dem 18. Jh. erinnert. Verwirrend und faszinierend gleichzeitig, wie ein Labyrinth aus dem „Namen der Rose“. Oder an den niederländischen Grafiker M. C. Escher (+ 1972), der für seine vexierbildhaften Architekturen bekannt ist, die gleichzeitig verwirrend und hypnotisch wirken.

Was aber bei Piranesi düster und geheimnisvoll, wirr und asymmetrisch wirkt, ist bei Gina Plunder rein und weiß, klar und sauber, durchdrungen von Licht. Ein Palast ohne Wände, ein Kristall wie aus Glas geschnitten. Fächerformen, Kreissegmente und Treppen sind als durchgehendes Motiv wiedererkennbar, eine Reminiszenz an asiatische Pagoden und die Rastatter Pagodenburg. Die grafischen Architekturbilder von Gina Plunder bedürfen keines Rahmens, sie scheinen direkt aus der weißen Wand herauszuwachsen und vor der Wand gleichsam zu schweben.

Auf den ersten Blick ähneln sich alle Bilder, aber beim näheren Betrachten erschließen sich utopische, fast futuristische Räume, in denen sich auch Lampen, Tische oder eine lange Tafel befinden. Dies sind Motive, die sich in kleinen Paraphrasen immer wieder wiederholen. Kleine Motive sind hierbei partiell farbig akzentuiert, in Grund- oder Komplementärfarben, wenigen Mischtönen und Grautönen.

Wie entstehen die Arbeiten von Gina Plunder? Sie fotografiert gern Häuser, fertigt dann Zeichnungen danach an, schneidet sie aus, fügt dann Versatzstücke wie Treppen, Säulen etc. zusammen und schafft dadurch neue Raumkonzepte; stets neugierig und gespannt darauf, neue An- und Einsichten zu bieten. Anschließend setzt die Künstlerin eine ihr eigene Mischtechnik ein: Lackfarbe, Tusche und Acryl auf Leinwand, manchmal auch auf Holzplatte. Gelegentlich erkennt man aufgespritzte Rechtecke, die wie ein Vorhangmuster vor der Komposition liegen; sie verschleiern den Blick, verhindern den direkten Einblick, verbergen die Wohnatmosphäre – das Thema Intimität und Voyeurismus wird hier angesprochen.

In zwei großformatigen Bildern im Eingangsbereich verbindet Gina Plunder Malerei und Grafik: Die Farbe Blau herrscht hier vor, eine transzendente Farbe, die an die Romantik erinnert, oder auch an die Tiefen des Weltalls, denn in der Mitte befindet sich die pagodenartige Zeichnung. Wie ein „Kleinod“, eine Raumwelt, ein im Weltraum schwebender kostbarer Kristall, der Lichtbrechungen auf der gesamten Bildfläche verteilt. In runden Formen, die Vollkommenheit symbolisieren sollen, werden diese Kristallformen reflektiert.

Im zweiten Raum mit Arbeiten von 2009 bis 2012 begegnen uns Bilder mit Titeln wie „Wassertempel“ oder „Sonnentempel“, prägnanterweise in blauen oder goldenen Farben gehalten. Grafische Elemente wechseln hier mit aufgesprühten Partien ab und erzeugen eine unerwartete Spannung. Im „Grand Hotel“, dem „Culture Club“ oder im „Museum“ zeigt Gina Plunder das Neue Bauen ganz im Sinne der Konstruktivisten Malewitsch, Mondriaan und Rietveld. Im „Museum“ können wir durch Bullaugen wie durch Guckkästen ein neues Sehen und Entdecken ausprobieren, in Kojen und Vitrinen imaginäre Kunstwerke bestaunen.

Auf einer Stellwand sind acht kleinformatige Zeichnungen und überarbeitete Drucke ausgestellt; reizvolle Experimente in zahlreichen Achsspiegelungen, die z.T. mit der Hilfe von Computerprogrammen entstanden sind. Das zeigt, dass unsere Künstlerin stets offen für Neues und bereit zum Experimentieren ist.

Wer noch mehr von Gina Plunders Kunst sehen möchte, kann das im Ettlinger Schloss tun sowie ab dem 30.1. in der Städtischen Galerie in der Fruchthalle Rastatt (Malerei und Zeichnung). Es freut mich, dass Gina Plunders Kunst so gefragt ist!

Es hat mir viel Freude bereitet, diese Bilder der Ausstellung „HOME“ hier in der Galerie der GEDOK Karlsruhe zu betrachten und mit der sympathischen und ernsthaften Künstlerin ins Gespräch zu kommen. Nutzen Sie nun auch die Gelegenheit, dies zu tun. Die Künstlerin bietet Ihnen auch ihre hochwertigen Leporellos an; machen Sie davon bitte auch regen Gebrauch. Und nun viel Freude beim Entdecken der Raumwelten auf den Werken von Gina Plunder!

Helene Seifert (M.A.) – Kunsthistorikerin